Nachbarschaft in der Steiermark: Konflikte werden oft selbst geregelt
Rund 300 Menschen beschäftigten sich bei der diesjährigen „Konferenz des Zusammenlebens" des Integrationsressorts in Graz mit der Frage, wie das Zusammenleben im Wohnumfeld verbessert werden kann. Um die momentane Situation zu erheben, wurde erstmals im „Steirischen Nachbarschaftsbarometer" die Stimmung der SteirerInnen im Umgang mit den NachbarInnen abgefragt. „Die Umfrage zeigt, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen ein gutes bis sehr gutes Verhältnis zu den NachbarInnen hat", betont Bettina Vollath. Ein Ergebnis, das der deutsche Sozialwissenschafter Wolfgang Müller, der zu Gast bei der Konferenz war, bestätigt: „Die große Mehrheit der Bevölkerung schätzt Nachbarschaft und sieht diese positiv."
Allerdings belegt das Barometer auch, dass viele Menschen nur sehr wenig Kontakt miteinander haben, oft auch weniger als gewollt. „Und natürlich gibt es, wo Menschen zusammen leben, auch Konflikte - umso mehr, je beengter der Raum ist", so Vollath. Ermutigend sei, dass bei der Konfliktlösung die Eigenintiative der Menschen überwiege und das Gespräch miteinander der erste Schritt sei. Ein Ergebnis, das auch Johann Seitinger positiv bewertet: „Der Nachbar ist schließlich nicht immer der andere, sondern wir selbst. Es geht mir um Hausverstand und eine Portion Eigenverantwortung", so Seitinger. „Im Zusammenleben mit unseren Mitmenschen ist es mir auch wichtig, fremde Kulturen und Sprachen nicht als Risiken sondern als Chancen und Potentiale zu sehen", ergänzt der Wohnbaulandesrat. Eine Haltung, die von den SteirerInnen laut Nachbarschaftsbarometer im täglichen Miteinander gelebt wird: Sprache, Weltanschauung oder kulturelle Differenzen spielen nur eine sehr untergeordnete Rolle, wenn es im Zusammenleben „kracht", überwiegen Konflikte wegen Lärmbelästigung, Verschmutzung oder der Kampf um Parkplätze.
Für Vollath und Seitinger sind die Ergebnisse des Barometers auch Motivation, die Initiativen des Landes für ein besseres Zusammenleben im Wohnumfeld weiter zu forcieren. Diese wurden gemeinsam mit LH-Stv. Siegfried Schrittwieser und dem „Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen" (GBV) unter den Obleuten Christian Krainer und Wolfram Sacherer entwickelt und getragen: Neben einer Info-Kampagne und weiterer Einbindung aller VerantwortungsträgerInnen (Genossenschaften, Gemeinden, etc.) gibt es auch verstärkte Angebote zur Mediation bei schwerwiegenden Konflikten in Siedlungen. Mit den „BotschafterInnen des Zusammenlebens" wollen Vollath und Seitinger ehrenamtliches Engagement in der Nachbarschaft neu beleben. „Insgesamt geht es uns darum, dass in Zukunft nicht nur die Frage ,Wie baut man richtig?‘, sondern auch die Frage ,Wie lebt man richtig‘ Säule der steirischen Wohnbaupolitik ist", sagt Seitinger. Aus wissenschaftlicher Perspektive ein sinnvoller Ansatz, denn „Nachbarschaft kann man nicht bauen, aber Nachbarschaftsbeziehungen können durch den Aufbau von Rahmenbedingungen gefördert werden", erklärt Müller.
Ergebnisse „Steirisches Nachbarschaftsbarometer 2014":
Gutes Verhältnis zu NachbarInnen.
Rund ein Drittel (34,8 Prozent) der Befragten hat ein ausgezeichnetes Verhältnis zu Ihren NachbarInnen. Etwas mehr als die Hälfte bezeichnet das Verhältnis als „eher gut", nur rund 6,5 Prozent empfinden das Zusammenleben dezidiert als „eher" oder „sehr schlecht".
Wenig Kontakt
Fast 60 Prozent haben kaum oder keinen Kontakt zu ihren NachbarInnen. Nur 5,8 Prozent der Befragten haben „sehr viel" Kontakt zu ihren NachbarInnen, 36,4 Prozent immerhin „Eher viel Kontakt".
Stadt-Land-Gefälle beim „Einander-Kennen".
Auch bei der Frage, wie gut man einander kennt, ist ein klares Stadt-Land-Gefälle erkennbar. In den ländlich und kleinräumig strukturierten Gebieten der Süd-, Ost- und Weststeiermark kennen die NachbarInnen einander besser. In Gemeinden über 25.000 EinwohnerInnen sagen sogar etwas mehr als 80 Prozent, dass sie die NachbarInnen nur vom Sehen kennen oder nur vereinzelt Smalltalk führen.
Sprache und kulturelle Unterschiede sind kaum Hürden.
Wenn es zwischen NachbarInnen nicht klappt, dann liegt das zumeist an organisatorischen Umständen, etwa weil im Arbeitsalltag wenig Zeit für den Kontakt bleibt (42 %). Als weitere wichtige Gründe für mangelnden Kontakt werden Faktoren wie Altersunterschied (21 %) und Verschiedenheit der Lebensmodelle (24 %) genannt. Weltanschauung (9,3 %), kulturelle Unterschiede (7,7 %) und sprachliche Verständnisprobleme (5,5 %) sind aus Sicht der Steirerinnen und Steirer jedenfalls keine großen Hindernisse.
Konflikte.
Mehr als die Hälfte der BewohnerInnen hatte schon mit Konflikten in der Nachbarschaft zu tun, nämlich rund 56 Prozent aller Befragten. 43,3 Prozent haben noch nie Konflikte in der Nachbarschaft erlebt. Im mehrgeschossigen Wohnbau liegt dieser Wert allerdings nur bei etwas weniger als einem Drittel.
Gründe für Konflikte.
Die meisten Konflikte drehen sich um Lärmbelästigung (25 %) und Verschmutzung (17 %), dicht gefolgt vom Kampf um Parkplätze (16 %). Dabei spielen sowohl Sachthemen (Lärm, Ruhe, Verschmutzung, Parkplätze, Ordnung, Geruchsbelästigung etc.) eine Rolle als auch das Sozial-Verhalten (Meinungsverschiedenheiten, schlechte Nachrede und Tratsch, Unhöflichkeit...).
Konfliktlösung: Eigeninitiative überwiegt.
Konflikte werden von zwei Dritteln der Bevölkerung in der Regel intern und zivilisiert ausgetragen. Erst an dritter Stelle wird die Hausverwaltung genannt, wenn es um Streitschlichtung geht, auch die Polizei oder Gemeinde wird nur von einer Minderheit zur Hilfe gerufen. Eigenverantwortung steht hoch im Kurs: In den meisten Fällen sagt man sich einfach einmal gegenseitig (ordentlich) die Meinung (36 %), oder versucht Konflikte in ruhigen Gesprächen zu lösen (33 %).